Hans-Otto-Bredendiek
Hufelandstraße 9
Die Hausnummerierungen wechselten im Laufe der Jahre.
1905 bis 1910 Hufelandstraße 45
1911 bis 1953 Hufelandstraße 46
1954 bis heute Hufelandstraße 9
Das alte Schild mit der durchgestrichenen 46 befand sich, gemeinsam mit der heutigen Nummer, noch bis zur Wende an der Oberseite des Türbogens.
Der Block der Hufelandstraße mit den Nummern Hufelandstraße 44-47, also mit der heutigen Nummer 9, wurde von 1905-1908 als zur Greifswalder Str. 33 gehörig bezeichnet. Die Ersterwähnung der Hufelandstraße 9 als Baustelle erfolgte 1909. Die ersten Familien zogen 1910 in das Haus ein.
Das Haus wechselte mehrfach den Eigentümer.
Eigentümer waren:
1909-1916 der Maurermeister und Inhaber eines Baugeschäfts W. Strusch
1917-1930 der Kaufmann P. Radenacker Witwe B. Radenacker
1931-1933 seine Witwe Frau B. Radenacker
1934-1937 Frau B. Richter
1938-1940 W. Richter
1941-1943 H. Haltenhoff und R. Machaleit
Verwalter waren:
1916-1925 Pensionär W. Wunderlich
1926-1933 Polizeiassistent A. Ballo
1934-1937 Verwalter W. Richter
1941-1943 Verwalter F. Witte
Zu DDR-Zeiten wurde das Haus durch die Kommunale Wohnungsbauverwaltung (KWV) verwaltet.
Im Haus befanden sich mehrere Gewerbeeinheiten. Bemerkenswert ist lange Tradition des Bäckerhandwerks, die sich bis in die heutige Zeit mit der Bäckerei Kempe erhalten hat. Die Butter- und Milchhandlung befand sich möglicherweise in dem späteren Süßwarenladen "Praline". Dieses Geschäft und deren Räume sind nicht mehr vorhanden. Die Räume wurden nach 1995 durch die Bäckerei Kempe übernommen. Andere, kleiner Gewerbeunternehmen, waren nur von kurzer Dauer.
Bäckerei: Bäckermeister A. Czok (1911-1915),
Bäckermeister F. Arlt (1917-1920),
Bäckermeister M. Grundmann (1921-mindestens 1943).
Milchhandlung: G. Müller (1910-13), P. Haberstroh (1914-18)
Butterhandlung (ab 1920 "Nordstern"): J. Gusowski (1913-1938)
Drogerie: Paul Radenacker (1917-1925)
Elektroanlagen: Ingenieur B. Franzke (1939-mindestens 1943)
Möbelstoffe: Frau K. Levy (1934-1938)
Nähmaschinenreparatur: G. Wolff (1923-29)
Schneiderei: Schneidermeister A. Hering (1910-1913), M. Linhart (1914-1917)
Stickerei: B.Bibo (1910-1912)
Schuster: Schuhmacher J. Szadmann (1930-1932), Schuhmacher P. Tschierschke (1934)
Baugeschäft: Maurermeister W. Strusch (1910-16)
Delikatessen: K. Plonier (1920)
Arztpraxen: Dr. med. E. Levy/Kinderarzt (1927-1938); Dr. K. Winter (1931-1933)
Gewerbeeinheiten nach 1945:
Bäckerei Kempe (?-jetzt), Süßwarengeschäft "Praline"
(?-nach 1990),
Fotogeschäft Mellenthin und Nachfolger (60ger-80ger Jahre).
Die Bewohnerschaft des Hauses war sozial gemischt und setzte sich hauptsächlich aus dem im einfachen bis zum gehobenen Dienst beschäftigten Beamten, Kaufleuten und einigen, in verschiedensten Gewerken tätigen Arbeitern, zusammen.
Die Berufsbezeichnungen wechselten häufig, entweder durch sozialen Aufstieg (Postschaffner – Postsekretär – Oberpostschaffner) oder durch Konkretisierung der Berufsbezeichnung (Kaufmann – Buchhalter – Bankbeamter). Auch finden sich Wechsel im sozialen Stand (Drechsler – Angestellter).
Am längsten wohnten im Haus
(bis 1943): Oberpostschaffner R. Hubert, mindestens 34 Jahre (1910-mindestens 1945)
und Frau A. Anscher, 31 Jahre (1913-1943).
1943 (und eventuell auch noch nach dem Kriegsende 1945) lebten im Haus 21 Familien.
Über die Jahre nach 1945 ist wenig bis gar kein statistisch auswertbares Material vorhanden. Hier sind die Bearbeiter auf Zeitzeugen oder im privaten Bereich vorhandene Dokumente (z.B. Hausbücher) angewiesen.
In den Jahren 1910 bis 1943 finden sich bei den genannten Familienoberhäuptern folgende Berufe:
1 Agent,
10 Angestellte,
18 Arbeiter,
2 Ärzte,
3 Bäckermeister,
17 Beamte,
1 Bierfahrer,
1 Bierverleger,
1 Postbeamter,
1 Butterhändler,
2 Schneider,
32 Kaufleute,
1 Directrice,
15 Frauen/Witwen/Privatiere/Rentiere,
1 Gastwirt,
1 Hutmacher,
1 Ingenieur,
10 Invalide/Rentier/Privatier,
1 Eigentümer,
2 Milchhändler/pächter,
1 Mechaniker,
1 Schneidermeister,
2 Schuhmacher,
1 Schornsteinfeger,
2 Sticker/in.
Das Haus wurde in den 60ger und 70ger Jahren im Vorderhaus durch kinderreiche Familien, im Hinterhaus durch Rentner dominiert. Die Vorderhauswohnungen links waren um die 160 m² groß. Sie bestanden aus fünf Zimmern, wobei die Wohnungen je einen Eingang im Vorder- und im Hinterhaus hatten. Durch den Eingang im Hinterhaus kam man in die "Kammer" und sofort in die große Küche. Das Berliner Zimmer hätte getrennt werden können und es wäre zwei separate Wohnungen mit eigener Küche und Toilette bzw. Bad entstanden. Welches der Ursprungszustand war – eine große oder zwei kleine Wohnungen – muß noch eruiert werden.
Im Vorderhaus lebten:
VH 1. l.: Familie Prof. Dr. Bredendiek (Theologe, Ost-CDU) mit vier Kindern (wohnt dort 1964-1992), vorher soll dort ein Kohlenhändler gewohnt haben. Jetzt Familie Hückstädt.
VH 1. r.: Familie Huse (Sie Straßenbahnfahrerin, SED) mit vier Kindern (wohnt dort 70ger Jahre), später Familie Hückstädt/Roth (Physiker) mit drei Kindern (wohnt dort 90ger Jahre bis jetzt )
VH 2. l. Familie Wolfgang Wolf(Ökonom/Philosoph, SED, Opposition, Stasispitzel) mit vier Kindern (?-bis um 1990)
VH 2. r. Familie Rascher mit vier (?) Kindern (60ger-80ger Jahre)
VH 3. l. Familie Klaus Schröter (Diakon, Direktor) mit vier Kindern (60ger-90ger Jahre)
VH 3. r. Familie Sieglinski (Fahrlehrer, Verwalter des Hausbuches) (60ger (?)-jetzt)
VH 4. l. Frau Nebling (Rentnerin) (-80ger Jahre)
VH 4. m. Frau Daske (Rentnerin) (-80ger Jahre)
VH 4. r. Ehepaar Natho (Rentner) (-80ger Jahre)
Im Hinterhaus lebten:
HH 1. r. Hintereingang Bredendiek
HH 1 r.r. Rio Galuschki (Lektor, Alkoholiker) (ca. 1980-1983)
HH 1. l.l. Frau Mucha (Rentnerin) (?-70ger)
HH 2. r. Hintereingang Wolf
HH 3. r Hintereingang Schröter
HH 3. r.r. Ehepaar Rayzyk (Mechaniker, Rentner) (?-90er Jahre, Sie + um 1992, Er früher)
HH 4 Frl. Hubert (ältere Dame, die sehr muffig roch) (?-80er Jahre).
Herr Wolfgang Wolf war der Hausgemeinschaftsleitungsvorsitzender (HGL-Vorsitzender). Unter seiner Initiative fand im Februar, immer in seiner Wohnung, der Kinderfasching statt und im Herbst der Rentnertreff. Um das Zusammenleben innerhalb des Hauses zu verbessern wurden Patenschaften vereinbart. So kam es dazu, dass der "Professor" Frau Rayzyk die Kohlen holte und sie für den Sonntagnachmittag zum gucken von "Unserer kleinen Farm" einlud.
Interessant ist die Konstellation der drei Intellektuellen im Haus: Bredendiek (VH 1. OG), Wolf (VH 2. OG) und Schröter (VH 3. OG). Walter Bredendiek, Wolfgang Wolf und Klaus Schröter respektierten sich, obwohl sie aus verschiedenen Traditionslinien stammten. Bredendieks Denken kam aus der liberalen Theologie und wurde durch die religiösen Sozialisten Hertzsch, Kleinschmidt und Fuchs geprägt. Wolf kam aus der trotzkistischen Bewegung und war ein Vertreter des Rätemodells. Schröter war angestellter der evangelischen Kirche und prinzipiell gegen den Staat. Trotzdem gelang es den Dreien innerhalb des Hauses Strukturen zu schaffen, daß ein auf Achtung und gegenseitige Anerkennung Zusammenleben möglich wurde.
So wurde Herr Niekisch, er lebte im Hinterhaus, ein ehemaliger Fleischer, durch die Kinder von Bredendiek besucht. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den Kindern und dem Rentner. Herr Galuschki, obwohl, oder gerade weil Alkoholiker, wurde zum zweiten Weihnachtstag immer durch Bredendieks eingeladen. Wolfs und Schröters kümmerten sich um andere Rentner im Haus.
Die Hufelandstr. 9 gehört zum Kirchenkreis der Advent-Gemeinde.
Anm. des Autors: die mit Fragezeichen markierten Stellen werden noch mit Daten hinterlegt. Die Forschung ist noch im Gange.
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